Eröffnung des Zeugniscodes

Es ist festzustellen, dass es einen Unterschied zwischen der Rechtsprechung und der betrieblichen Praxis gibt. Wie bereits erwähnt, ist es nicht leicht, auf dem schmalen Grad zwischen gesetzlichen bzw. richterlichen Vorgaben und den betrieblichen Erfordernissen zu wandern. Ein Zeugnis stellt auch den Interessenkonflikt zwischen dem Arbeitnehmerwunsch, auf ein sehr gutes, und dem Arbeitgeberwillen, auf ein gerechtes Zeugnis dar, wobei der Arbeitgeber noch die emotionellen Einflüsse zu verarbeiten hat. Diese können u.a. kurz vor der Trennung der mögliche Ärger und die Unzufriedenheit in der restlichen Beschäftigungszeit sein.

Die Medien sprechen von einem „Zeugniscode“ oder einem „codiertem Arbeitszeugnis“. Die Arbeitgeber sprechen vielmehr von einem Arbeitszeugnis, welches den „Anforderungen an die eigenen Aussagen“ standhält. Dieser Konflikt führte zu einer eigenwilligen Mischung und fast zu einer eigenen Sprache oder zu einem eigenen Dialekt.

Die Mischung besteht aus mehreren Faktoren. Da ist die Anforderung an die eigene Aussage der Arbeitgeber gekoppelt mit der Sprache der Juristen und den Schulerfahrungen über die Schul- zeugnisbewertung der Arbeitnehmer.

Eigentlich sind sie nur der Rahmen der Mischung. Sie bilden die Grundlage für bestimmte Formulierungen, setzen die juristischen Anforderungen um und sind jeweils der Versuch, dem nächsten Arbeitgeber durch das Zeugnis ein geeignetes Bild vom Arbeit- nehmer zu geben.

Es wird also das geprägte Verständnis ( Schulerfahrung ) der Arbeitnehmer genutzt. Hiermit ist gemeint, dass der Zeugnisaussteller und der kundige Zeugnisleser sich die psychologische Vorgeprägtheit des Arbeitnehmers zunutze machen.

Zusätzlich werden noch verschiedenartige Schreibtechniken verwendet, die den juristischen Anforderungen gerecht werden. Somit versuchen Arbeitgeber den schmalen Grad zwischen Zeugniswahrheit und Zeugniswohlwollen zu erfüllen.

Die Unterscheidung zwischen einem aussagefähigen und beurteilungswürdigen Arbeitszeugnis läßt sich meist erst nach dem Vorstellungsgespräch oder bei einer Rücksprache mit dem Zeugnisaussteller treffen.

Aus den vorangegangenen Erläuterungen ergibt sich also folgende transparente Tabelle als Gegenüberstellung. (siehe Seite)

Aus der Gegenüberstellung ist ersichtlich, dass in der Zeugnissprache zusätzlich zur normalen „Benotung“ auch noch eine entsprechende Zeitangabe ( stets, jederzeit, immer ) bei einer Aussage über die Leistung entscheidend ist.

Bedenkt man weiter, dass der Aussteller des Zeugnisses gewisse Schreibtechniken eingesetzt haben könnte, so ist das Lesen eines Zeugnisses zwar einfach, aber das Interpretieren der gewollten Aussage schwer. Vermischen Zeugnisexperten und Zeugnis- neulinge jetzt auch noch mehrere Schreibtechniken, so ist die Interpretation manchmal Glücksache, es sein denn, der Zeugnis- leser nimmt Kontakt zum Zeugnisaussteller auf.

Als Überblick zu den Bewertungen im Arbeitszeugnis :

Note Punkte Schulzeugnis Arbeitszeugnis
1 15 sehr gut stets – außergewöhnlich
14 stets – außerordentlich
stets – vollsten Zufriedenheit
stets – vollste Anerkennung
stets – sehr gut
1 – 2
13 -/- stets – volle Anerkennung
12 stets – allerbeste Zufriedenheit
2 11 gut stets – vollen Zufriedenheit
stets – gut …
vollste Anerkennung
vollste Zufriedenheit
2 – 3
10 -/- stets – gut zufrieden
9 stets – in bester Weise
stets – voll und ganz zufrieden
vollen Zufriedenheit
3 8 befriedigend stets – Zufriedenheit
7 jeder Hinsicht
stets – befriedigend
voll(en) Zufrieden(heit)
voll entsprochen
stets – zufriedenstellend
4 6 ausreichend zufrieden / Zufriedenheit
5 ordnungsgemäß / befriedigend
4 stets entsprochen
stets – ausreichend
5 3 mangelhaft Erwartungen entsprochen
2 im großen und ganzen …
1 als zufriedenstellend
mit großem Fleiß/ viel Interesse
größtenteils
6 0 ungenügend hat sich bemüht / stets bemüht
war bestrebt
besonders .. war sehr zufrieden
hatte Gelegenheit

Aus der Gegenüberstellung ist ersichtlich, dass in der Zeugnissprache zusätzlich zur normalen „Benotung“ auch noch eine entsprechende Zeitangabe ( stets, jederzeit, immer ) bei einer Aussage über die Leistung entscheidend ist. Bedenkt man weiter, dass der Aussteller des Zeugnisses gewisse Schreibtechniken eingesetzt haben könnte, so ist das Lesen eines Zeugnisses zwar einfach, aber das Interpretieren der gewollten Aussage schwer. Vermischen Zeugnisexperten und Zeugnisneulinge jetzt auch noch mehrere Schreibtechniken, so ist die Interpretation manchmal Glücksache, es sein denn, der Zeugnisleser nimmt Kontakt zum Zeugnisaussteller auf.

Schreibtechniken

Die Ausweichtechnik
Hier wird anstatt auf die wesentlichen, wichtigen Zeugnisinhalte oder die abgegebene Tätigkeitsbeschreibung einzugehen, auf Selbstverständlichkeiten oder Allgemeinheiten ausgewichen.

Z.B. :  .. war stets sehr pünktlich .. ; .. hatte einen sehr ordentlichen und korrekt geführten Arbeitsplatz .. ; .. war stets sehr gepflegt .. oder  .. konnte aufgrund seines gepflegten Äußeren sehr schnell eine Vertrauensbasis bei der Kundenberatung ..  .

Die Einschränkungstechnik
Durch eine Einschränkung wird die Aussage beschnitten, bzw. soll beim Zeugnisleser eine Negativemotion – durch die Unstimmigkeit des Gesamteindruckes – hervorrufen. Diese Einschränkungen können sein :

Z.B.  :  .. hat sich bemüht .. ; .. gilt im Verband als absoluter Fachmann … ; .. die Arbeitnehmer wussten ihn stets sehr zu schätzen .. ; .. war sehr korrekt ..   .

Die Kurztechnik ( Knappheitstechnik )
Bei dieser Schreibtechnik ist die Tätigkeitsbeschreibung bewusst kurz gehalten. Dadurch kann auch, ohne beim Zeugnisunkundigen große Aufmerksamkeit zu erzeugen, der Beurteilungsteil sehr knapp abgehandelt werden. Häufig wird dieses Zeugnis dann von den Arbeitnehmern beim Betriebsrat oder vor dem Arbeitsgericht aufgrund der unvollständigen Tätigkeitsbeschreibung angegangen. Dabei wird dann aber meistens vergessen den Beurteilungsteil zu bemängeln oder zu korrigieren.

Die Weglasstechnik
Keine Aussagen über das Verhalten allgemein, das Führungsverhalten, die Fortbildungsbereitschaft oder den Leistungserfolg sowie zeitliche Aussagen (stets, jederzeit, immer) können beabsichtigt sein und gelten als Warnfunktion.

Die Negationstechnik
Anstatt einer klaren Aussage wird hier eine Doppelverneinung gewählt oder in einer Aussage Negativworte verwendet..

Z.B.  :  .. nicht unbedeutende Absatzsteigerungen .. / Negativworte : Beanstandungen, Tadel, Klagen, Beschwerden, Probleme, etc. … .

Die Orakeltechnik
Entweder in Abhängigkeit von der Tätigkeitsbeschreibung oder davon unabhängig werden Andeutungen formuliert, die bewusst nicht vollständig oder offen sind. Ebenfalls ist es beliebt, die Zeugnisbausteinfolge durch eine solche Andeutung zu ändern. Ziel ist es wieder eine Negativemotion beim zeugniskundigen Leser zu erzeugen.

Z.B.  :   .. seine Aufgaben hat er gemäß den Anweisungen erfüllt. .. ; .. im Rahmen seiner Fähigkeiten .. ; Hat .. stets seine Aufgaben erfüllt .. ; Wurde den von uns gesetzten Anforderungen stets gerecht. ;

[ Wie oder welche Aufgaben/Anweisungen/Anforderungen ?

Die Passivtechnik
Spricht der kundige Zeugnisaussteller vom Mitarbeiter im Passiv, so zeigt dieses wenig Interesse oder wenig Engagement. Es wird also versucht durch diese grammatikalische Feinheit indirekt eine Aussage über das Arbeitsverhalten des Arbeitnehmers zu treffen.

Z.B.  :  .. wurde ihm übertragen .. ; .. wurde er versetzt ..  .

Die Positivskalatechnik
Dieses ist die eigentlich von den Juristen bevorzugte Schreibtechnik. Sie gilt als sehr wohlwollend und lässt eine Leistungsaussage zu. Von den BAG-Juristen wird allerdings die klare Aussage bevorzugt.

Z.B.  :   .. stets zu unserer vollsten Zufriedenheit .. oder .. waren stets gut ..

Die Reihenfolgetechnik
Stellen Sie weniger wichtigere vor wichtige Aussagen oder nennen Sie bei der Verhaltensaussage die Kollegen vor den Vorgesetzten, so sollte diese Unstimmigkeit zum Nachfragen anregen.

Besonders zeugnisunkundige Schreiber werden die Zeugnisreihenfolge nicht unbedingt beachten, somit lassen sich hierdurch die Interpretationsmöglichkeiten und auch die Aussagefähigkeit des vorgelegten Zeugnisses schlechter bewerten.

Die Widerspruchstechnik
Durch einen direkten oder indirekten Widerspruch kann eine – sonst positiv klingende – Aussage mit einer insgesamt negativen Interpretation enden.

Z.B.  :   .. hat insgesamt zur Zufriedenheit .. ( = nicht immer ) ; .. im Rahmen unseres Mottos „völlige Kundenzufriedenheit“ sehr gut die Interessen unserer Kunden wahrgenommen .. ( = und die des Arbeitgebers ? ) ;  .. strengte sich stets an, überdurchschnittliches zu leisten, so .. ( = schaffte er es ? ).

 

Hinweis:
Wichtig ist, dass es alle diese vorbezeichneten Schreibtechniken offiziell nicht gibt. Aber es ist jedem freigestellt seinen ganz persönlichen Stil zu entwickeln, lediglich interpretierbar muss er sein